Wenn Stille Angst macht: Der ehrliche Weg aus dem Dauerlauf der Ablenkung
Permanent beschäftigt, nur nicht mit dir selbst? Erfahre, warum wir oft vor der Stille flüchten, wie eine persönliche Erfahrung mit Verlust mich zurück ins Fühlen brachte und wie du mit kleinen Stopps wieder zu dir findest.
💛 Wenn die Stille lauter wird als der Alltag
Es gibt Menschen und vielleicht erkennst du dich darin wieder, die sind permanent beschäftigt. Sie räumen auf, helfen hier, springen dort ein, kümmern sich um alles und jeden. Nur nicht um sich selbst. Und wenn der Alltag doch einmal eine Pause einlegt, suchen sie schnell die nächste Ablenkung.
Manchmal reicht schon ein kurzer Moment des Innehaltens in einem Gespräch, und zack, schon bist du gedanklich wieder bei der Nachbarin, beim Kollegen oder beim Partner, der angeblich „schon wieder etwas falsch gemacht hat.“
Viele sagen dann: „Ich bin halt so.“
Doch oft steckt dahinter ein stiller, unbemerkter Schutzmechanismus: Bloß nicht fühlen müssen, was wirklich in uns los ist.
Der Dauerlauf – Wenn Funktionieren zur Gewohnheit wird
Dieser Fluchtmodus zeigt sich oft ganz subtil. Du sagst einen kurzen Satz über deine eigenen Gefühle, und sofort geht es weiter mit den Problemen anderer. Es ist wie ein ständiges Ausweichen. Je unangenehmer die eigenen Empfindungen wären, desto lauter wird das Außen, das du dir schaffst.
Das Tückische daran: Du hältst dich dabei für das Opfer der Umstände, obwohl du pausenlos vor dir selbst davonläufst.
Irgendwann wird dieser Dauerlauf das neue Normal. Du spürst dich nicht mehr, du reagierst nur noch. Du funktionierst.
Warum Ruhe manchmal Angst macht
Nicht jede Stille ist wohltuend. Manchen Menschen löst sie sogar Stress aus. Je nach Anspannung oder seelischer Belastung wird die Stille als Bedrohung empfunden. Dann wird das Handy zur Rettungsleine, der nächste Termin zur Beruhigungstablette, der volle Kalender zur Lebensversicherung.
Ich kenne das sehr gut. Mein Leben lang war die Depression ein Begleiter, der niemanden zu interessieren schien. Von außen wurde ich oft belächelt, abgetan, nicht ernst genommen. Also suchte ich Wege, mich selbst zu retten und rutschte dabei in die nächste Ablenkung: Lernen.
Eine Ausbildung jagte die nächste. Es sah aus wie Wachstum und ein Stück weit war es das auch. Aber eigentlich lief ich im Kreis. Es war einfacher, neues Wissen aufzunehmen, als mich meinem Inneren zu stellen. Meditation? Unmöglich. Stille? Überfordernd. Mein Kopf wurde lauter, je stiller der Raum wurde.
Es brauchte Zeit, bis ich den Mut fand, mich wirklich auf mich einzulassen.
Wenn du dich selbst immer an die letzte Stelle setzt
Viele von uns haben nie gelernt, dass sie wichtig sind. Dass sie Bedürfnisse haben dürfen. Dass Grenzen ziehen kein Zeichen von Egoismus ist.
Also stellst du dich hinten an. Und noch weiter hinten. So lange, bis du das Gefühl verlierst, überhaupt irgendwo stehen zu dürfen. Dann kümmerst du dich eben um andere. Sagst überall Ja. Schleppst Lasten, die dir nicht gehören.
Du vergleichst die eigenen Schmerzen mit denen anderer und erklärst deine eigenen für nichtig.
Das hinterlässt Spuren: Ein Mangelgefühl, das sich über die Jahre festfrisst, und ein Selbstwert, der irgendwann nicht mehr zu spüren ist. Und wenn Gefühle zu lange keinen Raum bekommen, werden sie stumm. Du fühlst kaum noch. Vielleicht nur noch Müdigkeit, Einsamkeit, Angst.
Wie Liebe sich anfühlt, wenn man sie endlich spürt
In meinem Leben waren es meine Tiere, die mich zurückgeführt haben. Sie haben mich gehalten, lange bevor ich gelernt hatte, mich selbst zu halten.
Als meine Cecilia starb, dachte ich, ein Teil von mir würde mitgehen. Doch zwei Tage später schickte sie mir eine Botschaft. Sie zeigte mir Bilder aus unserem gemeinsamen Leben, die schönen und die schmerzhaften und ließ mich spüren: „Und das war Liebe.“
Dieses Erlebnis hat mich verändert. Es war der Moment, in dem ich begriff, dass das Leben nicht nur Schmerz kennt, sondern auch Tiefe, Verbindung und echte, leise Liebe.
Der Moment, in dem Menschen anfangen, hinzuschauen
Die Vermeidung der eigenen Gefühle zeigt sich im Alltag oft ganz unscheinbar: im ständigen Griff zum Handy, im reflexhaften Kümmern, im Drang, jede Stille mit Informationen zu füllen. Du rennst. Nicht für etwas – sondern weg von dir.
Ich erlebe es oft in Gesprächen: Wenn jemand das erste Mal bei sich bleibt, statt ins Außen zu flüchten, wird etwas weich. Das Gesicht entspannt sich. Die Atmung verändert sich. Die Worte werden bewusster.
Manchmal ist es nur ein kurzer Moment, aber er bewegt viel.
Und genau dort beginnt die Veränderung. Nicht durch Druck. Nicht durch „Jetzt musst du aber…“. Sondern durch einen schlichten Perspektivwechsel:
„Vielleicht geht es gerade gar nicht um die anderen. Vielleicht geht es um mich.“
Das ist einer der mutigsten Schritte, die ein Mensch gehen kann.
Der lange Weg aus der Schuld
Ich weiß, wie hartnäckig die „fremde“ Schuld sein kann. Wie sie sich festsetzt. Wie man reflexhaft Verantwortung übernimmt, sogar für Dinge, die offensichtlich außerhalb der eigenen Kontrolle liegen.
Ich erinnere mich an einen Unfall, bei dem mir jemand ins Auto fuhr. Mein erster Satz war: „Das war bestimmt meine Schuld.“ Erst als die Polizei mir erklärte, dass solche Unfälle absichtlich herbeigeführt werden, konnte ich kaum fassen, dass es nicht an mir lag. So tief sitzt dieses Muster manchmal.
Warum sich jeder kleine Schritt lohnt
Das ist vielleicht das Wichtigste: Es geht nicht darum, das ganze Leben auf einmal umzudrehen. Es geht darum, dich wieder wahrzunehmen.
Ein paar Sekunden reichen:
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beim Spülen
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beim Essen
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beim Anziehen
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beim Atmen
Ein kleiner Stopp. Ein bewusstes Wahrnehmen. Ein Moment, der dir zeigt: Ich bin da. Ich fühle. Ich lebe.
Mit der Zeit verändern sich die Dinge. Nicht weil du dich zwingst, sondern weil du anfängst, dich selbst zu sehen. Du wirst weicher, klarer, präsenter. Du erkennst deine eigenen Grenzen. Du setzt sie sogar, ohne Kampf, ohne Drama.
Weil du gelernt hast, dass du wichtig bist.
Dass du ein Recht auf dein Leben hast. Ein Recht auf deine Stille. Ein Recht auf dich selbst.
Mein Wunsch für dich: Dass du diesen Weg gehst, Schritt für Schritt. Dass du lernst, dich selbst wiederzufinden. Nicht, um anderen besser dienen zu können, sondern weil du es verdient hast, ein Leben zu führen, das dir gut tut.
SOUL2SOUL – von Herzen,
Carola